Der vier­zehn­jäh­ri­ge Luca erleb­te sei­nen ers­ten Anfall im Alter von vier Mona­ten. Mit acht Mona­ten wur­de bei ihm das Dra­vet-Syn­drom dia­gnos­ti­ziert. Sei­ne Mut­ter Gaby, Mama von drei wei­te­ren, gesun­den Kin­dern, teilt sei­ne Geschich­te.

Kannst Du uns etwas über Lucas ers­te Anfäl­le erzäh­len? Wie hast Du sie bemerkt und dar­auf reagiert?

Im April 2010, vier Mona­te nach Lucas Geburt, hat­ten wir den U‑Termin, bei dem Luca auch geimpft wur­de. Unmit­tel­bar nach der Imp­fung begann sei­ne rech­te Hand plötz­lich über ein paar Minu­ten rhyth­misch zu zucken, als wir die Pra­xis ver­lie­ßen. Wir gin­gen sofort zurück. Bis der Arzt kam, hat­te es auf­ge­hört, und ich wur­de als über­be­sorg­te Mut­ter mit den Wor­ten „Babys zucken schon mal“ belä­chelt. Beim Stil­len am nächs­ten Mor­gen zuck­te die lin­ke Hand, wie­der über ein paar Minu­ten und ganz rhyth­misch. Ein Anruf beim Arzt brach­te kei­ne Hil­fe. Am nächs­ten Tag, einem Frei­tag­nach­mit­tag, kam mei­ne Heb­am­me vor­bei und ich bade­te Luca. Als ich ihn aus dem Was­ser nahm, über­streck­te er sich plötz­lich, wur­de steif wie ein Brett und lief blau an. Ich war vol­ler Panik und dach­te, er stirbt. Ich rief sofort den Not­arzt und unse­ren Haus­arzt, der in der Nach­bar­schaft wohnt. Mitt­ler­wei­le zuck­te sein gan­zer Kör­per. Luca bekam Unmen­gen an Medi­ka­men­ten, aber nichts half. Wir fuh­ren mit dem kramp­fen­den Kind in die 55 km ent­fern­te Kin­der­kli­nik, die im ers­ten Lebens­jahr unser zwei­tes Zuhau­se wer­den soll­te. Nach 2,5 Stun­den stopp­te der Anfall.

Wann und wie wur­de bei Luca das Dra­vet-Syn­drom dia­gnos­ti­ziert? Gab es spe­zi­fi­sche Anzei­chen, die zur Dia­gno­se führ­ten?

Luca durch­lief einen Unter­su­chungs­ma­ra­thon, bei dem nichts gefun­den wur­de. Wochen spä­ter frag­te mich der Pro­fes­sor, ob ich mit einem Gen­test ein­ver­stan­den wäre. Er mein­te: „Es gibt eine Erkran­kung, aber bevor Ihr Sohn die hat, haben Sie sechs Rich­ti­ge im Lot­to.“ Natür­lich stimm­te ich zu. Vier Mona­te und zig Anfäl­le spä­ter beka­men wir das Ergeb­nis in einem über­füll­ten, klei­nen Arzt­zim­mer: Dra­vet-Syn­drom mit einer Spon­tan­mu­ta­ti­on im SCN1A-Gen. Ich konn­te mir nicht ein Detail der Dia­gno­se mer­ken. Zurück auf der Sta­ti­on bat ich wei­nend im Schwes­ter­zim­mer dar­um, mir den Namen der Erkran­kung auf­zu­schrei­ben.

Wie hat sich das Leben für euch als Fami­lie seit der Dia­gno­se­stel­lung ver­än­dert?

Ich goo­gel­te die Dia­gno­se und war am Ende. Als Tage spä­ter von kei­ner hohen Lebens­er­war­tung gespro­chen wur­de, erwach­te mein Kampf­geist. Luca wur­de auf die Kom­bi­na­ti­on Kali­um­bro­mid und Kepp­ra ein­ge­stellt und ent­wi­ckel­te sich über 2,5 Jah­re alters­ge­recht, bis kurz vor sei­nem drit­ten Geburts­tag das Mons­ter rich­tig zuschlug. Luca bekam einen Gene­ra­li­sier­ten Anfall (GM), der nicht zu unter­bre­chen war. Wir wur­den mit dem Hub­schrau­ber ins Kli­ni­kum gebracht, weil sei­ne Vital­wer­te ent­gleis­ten. Luca wur­de ins künst­li­che Koma gelegt und erst sechs Tage spä­ter wie­der wach. Er lag da wie ein Wach­ko­ma­kind und reagier­te nicht. Doch auch das meis­ter­te mein Kämp­fer mit viel Kran­ken­gym­nas­tik und För­de­rung durch die Fami­lie. Hier dan­ke ich beson­ders mei­nen Töch­tern und Schwie­ger­söh­nen, die uns jeder­zeit unter­stützt haben. Immer war und ist jemand da!

Wie geht es Luca heu­te?

Luca besucht heu­te eine behin­der­ten­ge­rech­te Schu­le mit 1:1 Betreu­ung, kann lei­der nicht spre­chen und ist ent­wick­lungs­ver­zö­gert. Er hat auch moto­ri­sche Ein­schrän­kun­gen. Sei­ne autis­ti­schen Züge sind über die Jah­re aus­ge­präg­ter gewor­den und mal mehr, mal weni­ger hän­del­bar. Aber er ist ein Son­nen­schein, der char­mant alle um den Fin­ger wickelt. Sei­ne gro­ßen Lei­den­schaf­ten sind das the­ra­peu­ti­sche Rei­ten und der blaue Ele­fant im TV. Im Som­mer wech­selt er in die Berufs­schu­le. Sei­ne Herz­lich­keit macht ihn lie­bens­wert.

Wie geht Ihr als Eltern mit den emo­tio­na­len Belas­tun­gen um, die mit der Betreu­ung eines Kin­des mit einer schwe­ren neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kung ein­her­ge­hen?

Da mein Mann im Außen­dienst tätig ist und ich seit zwei Jah­ren wegen einer Krebs­er­kran­kung im Roll­stuhl sit­ze, haben wir nach lan­ger Suche einen Pfle­ge­dienst gefun­den, der uns unter­stützt. Wir sind auch Teil der Dra­vet-Fami­lie, bei der wir jeder­zeit ein offe­nes Ohr fin­den, mit der wir wei­nen und lachen kön­nen, die mit uns trau­ert und fei­ert. Das ist beson­ders wich­tig, da vie­le Freund­schaf­ten zer­bra­chen. Dra­vet ist unbe­re­chen­bar und spon­ta­ne Unter­neh­mun­gen sind nicht mög­lich. Alles muss bis ins kleins­te Detail geplant wer­den, da vie­le Fak­to­ren aus­ge­schlos­sen wer­den müs­sen und selbst dann macht das Mons­ter noch einen Strich durch die Rech­nung. Aber all das wird durch die fröh­li­che und lie­be­vol­le Art unse­res Hel­den wett­ge­macht.

Wie hat sich Lucas Krampf­ge­sche­hen ent­wi­ckelt?

Luca krampft täg­lich min­des­tens drei­mal. Er ist auf Kali­um­bro­mid, Kepp­ra, Fri­si­um, Fycom­pa und Can­na­bis ein­ge­stellt. Meis­tens begin­nen die Anfäl­le gelas­tisch und gehen dann tonisch-klo­nisch wei­ter. Die Dau­er schwankt zwi­schen einer und acht Minu­ten. Er krampft aber auch still und ato­nisch. Sta­tus-Anfäl­le sind sel­te­ner gewor­den. Als Not­fall­me­di­ka­ment bekommt er Dia­ze­pam-Trop­fen. In den meis­ten Fäl­len benö­tigt er Sau­er­stoff. Nachts über­wa­chen wir ihn mit einem Puls­o­xi­me­ter und einer Kame­ra. Peni­bel wird jeder Anfall notiert. Sei­ne Erho­lungs­zeit ist kür­zer gewor­den, sodass wir auch spon­tan mal etwas unter­neh­men kön­nen. Wir sind muti­ger gewor­den und fah­ren und flie­gen in den Urlaub, gehen schwim­men und auf Spiel­plät­ze.

Mit wel­chen Her­aus­for­de­run­gen seht ihr euch durch Lucas Dia­gno­se kon­fron­tiert?

Die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen sind die Kämp­fe mit der Kran­ken­kas­se und dem Medi­zi­ni­schen Dienst der Kran­ken­kas­sen (MDK), die das Dra­vet-Syn­drom immer noch nicht aus­rei­chend ken­nen und des­halb erst ein­mal alles ableh­nen. Das macht mich trau­rig und wütend. Ger­ne wür­de ich auf alle Reha-Hilfs­mit­tel ver­zich­ten, wäre mein Kind gesund!

Wel­chen Rat möch­test du Eltern geben, die erst vor kur­zem die Dia­gno­se Dra­vet erhal­ten haben?

Mei­ne Rat­schlä­ge an die neu­en Dra­vet-Eltern: Hört nie­mals auf zu kämp­fen. Das Dra­vet-Syn­drom hat vie­le Gesich­ter und man muss es neh­men, wie es kommt. Aus­bli­cke in die Zukunft sind nicht mög­lich. Lasst den Kopf nicht hän­gen, es geht immer wei­ter! Die Krank­heit ist schwer und jeder wünscht sich für sein Kind ein gesun­des Leben. Akzep­tie­ren kann ich Dra­vet bis heu­te nicht, aber man lernt, aus allem das Bes­te zu machen. Des­halb kämp­fe ich für jede Minu­te „nor­ma­les“ Leben. Ver­liert die Hoff­nung nicht! Gemein­sam stark – so schaf­fen wir es!

Herz­li­chen Dank für das Inter­view.