Neal hat­te sei­nen ers­ten Krampf­an­fall mit sie­ben Mona­ten. Die Dia­gno­se Dra­vet bekam er trotz unzäh­li­ger Anfäl­le erst zwei Jah­re spä­ter. Mit sei­ner Zwil­lings­schwes­ter und sei­nen Eltern wohnt er in Bran­den­burg. Sei­ne Mama Gil­da teilt sei­ne Geschich­te.

Kannst Du uns etwas über Neals ers­ten Anfall erzäh­len? Wie wur­dest Du dar­auf auf­merk­sam?

Neal war sie­ben­ein­halb Mona­te alt, als er sei­nen ers­ten epi­lep­ti­schen Anfall hat­te. Es war ein Sonn­tag, und er hat­te zum ers­ten Mal Schnup­fen. Geplant war, am Mon­tag­mor­gen zum Kin­der­arzt zu fah­ren, um zu erfah­ren, wie man mit einem Säug­ling inha­lie­ren soll­te. In der Nacht hör­te ich durch das Baby­pho­ne ein grun­zen­des Geräusch. Sofort ging ich ins Kin­der­zim­mer, wo ich Neal stark kramp­fend in sei­nem Schlaf­sack fand. Alle Extre­mi­tä­ten zuck­ten stark, sei­ne Augen waren weg­ge­dreht und der Spei­chel lief aus sei­nem Mund.

Das muss sehr beängs­ti­gend für Dich gewe­sen sein. Was hast Du als Ers­tes getan?

Zuerst ver­such­te ich, Neal zu wecken. Dann nahm ich ihn auf den Arm und rief sofort die 112 an. In die­sem Moment war ich sehr panisch und über­for­dert mit dem Tele­fo­nat mit der Ret­tungs­leit­stel­le und der gesam­ten Situa­ti­on. Es kam mir nicht in den Sinn, dass es sich um einen epi­lep­ti­schen Anfall han­del­te. Ich dach­te nur: mein Sohn stirbt!

Wie schnell kam die Hil­fe und was pas­sier­te dann?

Der Not­arzt war bin­nen zwei Minu­ten bei uns. Neal hat­te ich die gan­ze Zeit auf dem Arm. Der Not­arzt leg­te Neal aufs Sofa, und in dem Moment sis­tier­te der Anfall. Es wur­de stark erhöh­tes Fie­ber gemes­sen und ich erhielt vom Not­arzt die Dia­gno­se „Fie­ber­krampf“. Ich wur­de mit Neal für ein paar Tage ins Kran­ken­haus gebracht, wo die Dia­gno­se „Fie­ber­krampf“ bestä­tigt wur­de und ich Infor­ma­tio­nen erhielt, wie ich beim nächs­ten Mal reagie­ren soll­te. Außer­dem erhielt ich eine Rek­tio­le Dia­ze­pam als Not­fall­me­di­ka­ment.

Wie ging es nach die­sem ers­ten Anfall wei­ter?

Zwei Wochen nach dem ers­ten Anfall und immer noch ver­schnupft, folg­te der zwei­te Anfall. Wie­der lan­de­ten wir im Kran­ken­haus. Von da an folg­ten zwei bis drei Anfäl­le die Woche, mit einer zeit­li­chen Stei­ge­rung von zehn Minu­ten bis zu einer Stun­de Kramp­fen. Da Neal immer über 40 Grad Fie­ber hat­te beim Kramp­fen, blie­ben die Ärz­te bei der Dia­gno­se „Fie­ber­krampf“.

Wann und wie wur­de bei Neal das Dra­vet-Syn­drom dia­gnos­ti­ziert? Gab es spe­zi­fi­sche Anzei­chen, die zur Dia­gno­se führ­ten?

Im Alter von 16 Mona­ten beka­men wir zunächst die Dia­gno­se „Epi­lep­sie“. Dafür muss­te ich selbst einen Neu­ro­lo­gen aus­fin­dig machen, denn die Kin­der­ärz­te bestrit­ten wei­ter­hin, dass es sich um eine Form der Epi­lep­sie han­deln könn­te. Mei­ne Recher­chen lie­ßen mich jedoch an etwas ande­res glau­ben. Eine genaue­re Bezeich­nung als Epi­lep­sie gab es für uns nicht. Dar­auf­hin wur­de Neal mit zwei Medi­ka­men­ten behan­delt. Trotz der Medi­ka­men­te hat­te Neal mehr­mals wöchent­lich einen Sta­tus epi­lep­ti­cus und tags­über vie­le Absen­cen.

Im Alter von 2 3/4 Jah­ren such­te ich eine wei­te­re Neu­ro­lo­gin für eine Zweit­mei­nung auf. Wir waren dafür zwei Wochen sta­tio­när mit Tag- und Nacht­über­wa­chung. Die Ober­ärz­tin sprach nach drei Tagen das ers­te Mal vom Dra­vet-Syn­drom und es folg­te der Gen­test, der dies bestä­tig­te. Ich glau­be, die Ober­ärz­tin kam auf­grund sei­nes Gang­bil­des und der Län­ge der Anfäl­le zu die­ser Dia­gno­se.

Wie hat sich das Leben für euch als Fami­lie seit der Dia­gno­se­stel­lung ver­än­dert?

Im All­tag muss immer eine 1‑zu-1-Betreu­ung gewähr­leis­tet wer­den. Da wir als Eltern bei­de berufs­tä­tig sind, ist unser Tag immer zeit­lich durch­ge­plant. Spon­ta­ne Ände­run­gen im Tages­ab­lauf sind schwie­rig für Neal. Seit 6 Jah­ren besucht er eine För­der­schu­le mit dem Schwer­punkt geis­ti­ge Ent­wick­lung. Seit­dem müs­sen wir als Fami­lie getrennt Urlaub machen, damit sei­ne Betreu­ung gewähr­leis­tet wer­den kann. In sei­ner Schu­le gibt es kei­nen Hort oder Feri­en­be­treu­ung. Und auch vom fami­li­en­un­ter­stüt­zen­den Dienst wur­de Hil­fe abge­lehnt. Die Groß­el­tern über­neh­men Neals Betreu­ung gele­gent­lich mal für ein paar Stun­den. Im Gro­ßen und Gan­zen wird Neal jedoch rund um die Uhr, 24/7, von uns Eltern betreut.

Wie geht ihr als Eltern mit den emo­tio­na­len Belas­tun­gen um, die mit der Betreu­ung eines Kin­des mit einer schwe­ren neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kung ein­her­ge­hen?

Die­se Fra­ge kann nur ich als Mama beant­wor­ten, da mein Mann nicht dar­über spricht und aus mei­ner Sicht vie­les locke­rer sieht als ich. Das liegt wohl dar­an, dass ich mich haupt­säch­lich um alles küm­me­re.

Seit Neals ers­tem Anfall bin ich ehr­lich gesagt inner­lich ein Wrack, was ich aber nach außen nicht zei­ge. Ich möch­te nur stark sein für mei­ne Kin­der, denn sie sol­len sich auf mich ver­las­sen kön­nen. Außer­dem bleibt mir auch nichts ande­res übrig, denn über­all, wo ich Hil­fe bekom­men woll­te, wur­den wir abge­lehnt.

Es gibt Tage, an denen wird natür­lich mal geweint und nach dem „War­um?“ gefragt. Dann den­ke ich an schö­ne Momen­te mit Neal, Din­ge, die er nach lan­gem Üben plötz­lich kann, und ich freue mich über sei­ne klei­nen Fort­schrit­te. Ein- bis zwei­mal im Jahr ver­su­che ich mir ein „fami­li­en­frei­es“ Wochen­en­de zu gön­nen, Zeit um ein­fach ich zu sein und mei­ne Akkus wie­der auf­zu­la­den. Denn … auf­ge­ben ist kei­ne Opti­on!

Wel­che Art von Unter­stüt­zung und Behand­lung erhält Neal für sein Dra­vet-Syn­drom?

Neal erhält seit sei­nem 2 1/2. Lebens­jahr wöchent­li­che Logo­pä­die- und Phy­sio­the­ra­pie­sit­zun­gen. Für län­ge­re Stre­cken nut­zen wir einen Roll­stuhl, und er hat ein spe­zi­el­les The­ra­pie­drei­rad, das er beson­ders liebt. Zudem haben wir bereits eine sechs­wö­chi­ge Reha absol­viert, von der Neal nach­hal­tig pro­fi­tie­ren konn­te.

Wie geht es Neal heu­te?

Neal ist jetzt 12 Jah­re alt und befin­det sich auf dem Ent­wick­lungs­stand eines 2- bis 3‑jährigen Kin­des. In den letz­ten zwei Jah­ren hat er nur noch 1–2 epi­lep­ti­sche Anfäl­le pro Jahr, die glück­li­cher­wei­se schnell abklin­gen, sodass ein Kran­ken­haus­auf­ent­halt nicht not­wen­dig ist.

Sei­ne Sprach­fä­hig­kei­ten haben sich deut­lich ver­bes­sert, sodass er sich mitt­ler­wei­le auch mit ande­ren Men­schen ver­stän­di­gen kann, ohne dass wir sei­ne Wor­te „über­set­zen“ müs­sen.

Schwie­rig wird es, wenn er trot­zig wird und plötz­lich enor­me Kräf­te ent­wi­ckelt. In sol­chen Momen­ten kann er bei­ßen, knei­fen oder um sich schla­gen. Dann müs­sen wir ruhig blei­ben und über­le­gen, wie wir die Situa­ti­on dees­ka­lie­ren kön­nen, um eine wei­te­re Eska­la­ti­on zu ver­mei­den.

Was wünscht Ihr Euch als Eltern für Neals Zukunft?

Für Neals Zukunft wün­schen wir uns, dass er wei­ter­hin das All­täg­li­che gut erlernt, um irgend­wann in einem betreu­ten Woh­nen leben zu kön­nen. Natür­lich wis­sen wir, dass er immer auf Hil­fe und Unter­stüt­zung ange­wie­sen sein wird, aber wir wer­den ihn wei­ter auf dem Weg in die Selbst­stän­dig­keit unter­stüt­zen, so gut wir kön­nen.

Wir wün­schen uns auch einen offe­ne­ren Umgang der Gesell­schaft gegen­über unse­ren „beson­de­ren“ Kin­dern.

Herz­li­chen Dank an Euch, dass Ihr Euch die Zeit für das Inter­view genom­men habt.