Der neun­jäh­ri­ge Fie­te hat­te sei­nen ers­ten Anfall mit fünf Mona­ten. Mit zehn Mona­ten wird bei ihm das Dra­vet-Syn­drom dia­gnos­ti­ziert. Mit drei wei­te­ren Geschwis­tern und sei­nen Eltern wohnt er in Bad Mer­gen­theim in Baden-Würt­tem­berg. Sei­ne Eltern Anna und Aku tei­len sei­ne Geschich­te.

Könnt Ihr uns etwas über Fie­tes ers­te Anfäl­le erzäh­len? Wie habt Ihr sie bemerkt und wie dar­auf reagiert?

Fie­te hat­te sei­nen ers­ten Anfall im Alter von fünf Mona­ten, der aus dem Schlaf her­aus pas­sier­te. Wir rie­fen sofort den Ret­tungs­dienst. Der zwei­te Anfall folg­te genau zwei Wochen spä­ter unter der Dusche. Wie­der exakt zwei Wochen spä­ter trat wäh­rend einer lau­ten und war­men Geburts­tags­fei­er ein wei­te­rer Anfall auf, bei dem er plötz­lich Myo­klo­ni­en hat­te.

Wann und wie wur­de bei Fie­te das Dra­vet-Syn­drom dia­gnos­ti­ziert? Gab es spe­zi­fi­sche Anzei­chen, die zur Dia­gno­se führ­ten?

Nach dem zwei­ten Anfall habe ich (Anna) begon­nen zu recher­chie­ren und bin auf das Dra­vet-Syn­drom gesto­ßen. Für mich war es zu die­sem Zeit­punkt eigent­lich schon klar, beson­ders nach den Myo­klo­ni­en. Ich sprach es direkt bei den Ärz­ten an, aber sie mein­ten, Fie­te sei zu fit für die­se Dia­gno­se. Im Janu­ar wur­de dann end­lich ein Gen­test durch­ge­führt, der die Ver­mu­tung bestä­tig­te. 

Wie hat sich das Leben für euch als Fami­lie seit der Dia­gno­se­stel­lung ver­än­dert? 

Im ers­ten Moment denkt man, das Leben sei ab jetzt nicht mehr lebens­wert und alles, was Spaß macht, sei nicht mehr mög­lich. Wir sind eine sehr akti­ve Fami­lie, die ger­ne schwimmt, wan­dert und Ski fährt. Doch war­mes Hal­len­bad, kal­tes Frei­bad­was­ser, Hit­ze, Ber­ge und Kran­ken­häu­ser, die weit ent­fernt sind, pas­sen eben nicht gut zum Dra­vet-Syn­drom. Aber wir haben uns lang­sam her­an­ge­tas­tet und mitt­ler­wei­le geht alles, viel­leicht etwas kür­zer als bei Fie­tes Geschwis­tern. Im Grun­de haben wir gelernt, das Leben mehr zu genie­ßen und uns an Din­gen zu freu­en, die frü­her selbst­ver­ständ­lich waren. Es ist ein Pro­zess, der nicht von heu­te auf mor­gen geht. 

Wel­che Her­aus­for­de­run­gen stel­len sich im All­tag mit einem Kind mit Dra­vet-Syn­drom? 

Am Anfang war die stän­di­ge Alarm­be­reit­schaft eine gro­ße Her­aus­for­de­rung. Man über­legt stän­dig, was man mit den ande­ren Kin­dern macht, wenn man ins Kran­ken­haus muss, und lei­det unter Schlaf­man­gel und Angst vor der Zukunft. Glück­li­cher­wei­se hat sich das bei uns irgend­wann gelegt. Im Kin­der­gar­ten und in der Schu­le ist nichts mehr selbst­ver­ständ­lich, und oft muss man für „nor­ma­le“ Din­ge kämp­fen. 

Wie geht Ihr als Eltern mit den emo­tio­na­len Belas­tun­gen um, die mit der Betreu­ung eines Kin­des mit einer schwe­ren neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kung ein­her­ge­hen? 

Uns hilft es sehr, viel dar­über zu reden. Ich (Anna) muss­te ler­nen, Hil­fe anzu­neh­men. Wir hat­ten eine Rei­ni­gungs­kraft und wäh­rend der Zeit der Schlaf­lo­sig­keit auch einen Pfle­ge­dienst, der uns eini­ge Jah­re lang super unter­stützt hat. Ich begann wie­der zu arbei­ten, etwa eine Stun­de von zu Hau­se ent­fernt. Das half mir, aus der stän­di­gen Alarm­be­reit­schaft her­aus­zu­kom­men. Sport ist eben­falls eine groß­ar­ti­ge Mög­lich­keit, sich zu sor­tie­ren und zu ent­span­nen. Als Gesund­heits- und Kin­der­kran­ken­pfle­ge­rin wuss­te ich, dass es wich­tig ist, auch die ande­ren Fami­li­en­mit­glie­der nicht zu ver­nach­läs­si­gen. Jeder von uns kann gut damit umge­hen, wenn etwas ist. 

Wel­che Art von Unter­stüt­zung und Behand­lung erhält Fie­te für sein Dra­vet-Syn­drom? 

Fie­te nimmt Fin­tep­la und nied­rig dosier­tes Ofiril. Ein­mal in der Woche hat er Kran­ken­gym­nas­tik. Zeit­wei­se hat­te er auch Ergo- und Logo­pä­die. Er besucht eine son­der­päd­ago­gi­sche Schu­le für Kör­per­be­hin­de­run­gen; in der Klas­se sind nur sechs Kin­der mit min­des­tens zwei Leh­rern und einer Betreu­ungs­kraft. Die Schu­le ist groß­ar­tig und Fie­te macht in allen Berei­chen tol­le Fort­schrit­te. Lei­der müs­sen wir dar­auf hof­fen, dass Fie­te im nächs­ten Schul­jahr wei­ter­hin die Schu­le besu­chen darf, da die Geneh­mi­gung bis­her nur für zwei Jah­re vor­liegt und eine Ver­län­ge­rung noch aus­steht. 

Wie geht es Fie­te jetzt? 

Fie­te geht es gut. In einem Jahr hat­te er nur drei kur­ze, grö­ße­re Anfäl­le, die seit sei­nem zwei­ten Lebens­jahr alle selbst­li­mi­tie­rend sind. Er hat kei­ne klei­nen Anfäl­le mehr. Für man­che Din­ge braucht er ein­fach etwas län­ger und mehr Übung, man­ches kann er auch schnel­ler und bes­ser. Er kann schwim­men, Fahr­rad fah­ren und Ski fah­ren. Dank Papa (Aku) traut er sich auch, vom 3‑Me­ter-Brett zu sprin­gen. Er kann rech­nen, lesen und redet wie ein Buch. Auf den ers­ten Blick merkt man ihm nichts vom Dra­vet-Syn­drom an, aber auf den zwei­ten viel­leicht schon. Doch das macht nichts, es gehört zu ihm. 

Wel­che Hoff­nung und Träu­me habt Ihr für die Zukunft von Fie­te? 

Am Anfang der Dia­gno­se hat­te ein Neu­ro­päd­ia­ter, den ich aus mei­ner Aus­bil­dung kann­te, gesagt, sein fit­tes­ter Pati­ent habe einen Haupt­schul­ab­schluss gemacht und woh­ne mit sei­ner Freun­din in einer eige­nen Woh­nung. Das gab uns Hoff­nung, auch wenn wir nicht ganz dar­an glaub­ten. Die Bil­der aus dem Inter­net zeig­ten ein ande­res Bild. Mitt­ler­wei­le den­ken wir, dass Fie­te das schaf­fen könn­te, aber es ist uns nicht mehr so wich­tig. Wich­tig ist, dass er glück­lich ist, sei­ne Epi­lep­sie sel­ten „zum Vor­schein kommt“, wie er sagt, und er mög­lichst das erreicht, was er ger­ne möch­te.

Wel­chen Rat möch­tet Ihr Fami­li­en auf den Weg geben, die erst vor kur­zem die Dia­gno­se Dra­vet erhal­ten haben? 

Hört immer auf euer Gefühl, sei es bei den Medi­ka­men­ten oder bei der Arzt­aus­wahl. Nehmt Hil­fe an, denkt nicht zu viel in die Zukunft und genießt die schö­nen Momen­te, auch wenn sie noch so klein sind. Für uns ist das Leben nicht vor­bei. Es ist sogar viel schö­ner gewor­den, weil wir alle schö­nen Momen­te genie­ßen! 

Gibt es etwas, was Ihr unbe­dingt los­wer­den möch­tet?

Wir möch­ten uns beim Ver­ein und der Dra­vet-Fami­lie bedan­ken. Ohne euch hät­ten wir wahr­schein­lich nicht so schnell eine Dia­gno­se gehabt. Ihr habt uns von Anfang an Mut gemacht und wir haben uns nicht mehr allein gefühlt.

Ganz herz­li­chen Dank, dass Ihr Euch die Zeit für das Inter­view genom­men habt.