4. Familienkonferenz in Leipzig / 07. – 09. Juni 2013
Nach den Familienkonferenzen in Berlin, Tübingen und Münster hat sich diese Veranstaltung zu einer regelrechten Institution entwickelt. So kamen dieses Mal wieder nahezu hundert betroffene Eltern, Kinder, Ärzte und Therapeuten, um sich über neue Erkenntnisse zu informieren und auszutauschen. Die Teilnehmer waren nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus der Schweiz, Österreich und sogar Frankreich angereist.

Auch in Leipzig fand die Konferenz, wie schon in den vergangenen Jahren, in der Universitätsklinik statt. Ein Hörsaal für die Vorträge, eine Kantine, wo alle Teilnehmer rasch ein schmackhaftes Essen erhielten, sowie einem liebevoll eingerichteten Spielzimmer und erfahrene Betreuer für die Kinder waren der ideale Rahmen für eine durchweg gelungene Konferenz.

Wie gewohnt, hatte der Vorstand des Vereins Dravet-Syndrom e.V. ein Programm auf die Beine gestellt, dass mit Vorträgen, Diskussionsrunden und Gelegenheiten zum persönlichen Austausch sowohl ‚alten Hasen‘ als auch solchen, die das erste Mal dabei waren, jede Menge Interessantes bot.

Für viele begann die Familienkonferenz bereits am Freitagabend. Sie trafen sich in einem italienischen Restaurant ganz in der Nähe der Klinik. Dort gab es ausreichend Gelegenheit zum Wiedersehen, Kennenlernen und persönlichen Austausch. Auch einige Kinder waren dabei. Danach zog es Unermüdliche sogar noch in die Innenstadt zum Leipziger Stadtfest.

Am Samstag begrüßte der Gastgeber Herr Prof. Dr. A. Merkenschlager, Neuropädiatrie Universitätskinderklinik Leipzig, alle Teilnehmer im Hörsaal der HNO-Klinik. Nicole Lamla, die Organisatorin vor Ort, zeigte sich bei ihrer Begrüßung erfreut, dass trotz der erschwerten Anreisebedingungen wegen des Hochwassers, so viele erschienen waren.

Im  ersten Vortrag von Herrn Prof. A. Merkenschlager ging es vor allem um die Anfallsbeobachtung und das EEG bis hin zur geeigneten Therapieauswahl. Nach dem Vortrag wurde dabei insbesondere über die Vor- und Nachteile der Notfallmedikation und der Sauerstoffgabe im Anfall gesprochen. Viele der anwesenden Eltern berichteten über ihre Erfahrungen mit dem Notfallmedikament Midazolam (Fertigspritze Buccolam®) und der verschiedenen Verabreichungsmöglichkeiten. Ebenfalls diskutiert wurde, ob die Sauerstoffgabe im Anfall diesen verlängert.

Anschließend stellte OA Dr. Preuß, Pädiatrische Neurochirurgie Universitätsklinik Leipzig, die Operationstechnik der Implantation eines Vagusnervstimulators (VNS) vor. Der VNS ist ein mittlerweile kleines Gerät, das unter die Haut unterhalb des Schlüsselbeines eingesetzt wird. Über ein Kabel wird das Gerät mit den zum Hirn führenden Fasern des Vagusnerv linksseitig verbunden. Insgesamt handelt es sich um einen eher kleineren Eingriff mit 2 Hautschnitten, der in größeren Neurochirurgien schon zu den Routineeingriffen gehört. Die Operation erfordert einen stationären Aufenthalt von ca. 3 Tagen.

Nach einer kurzen Pause hielt Prof. Dr. G. Kurlemann, Neuropädiatrie Universitätsklinikum  Münster, einen Vortrag zum Thema „Differentialdiagnose Myoklonien und die Bedeutung des EEG“. Dabei stellte er die Vielfalt der myoklonischen Anfallsformen vor. Bei der Abgrenzung der nicht epileptischen von epileptischen Myoklonien kann teilweise nur anhand des simultanen EEG´s eine Festlegung vorgenommen werden. Die Eltern kamen nach dem Vortrag ins Grübeln, ob wirklich jede Myoklonie einen epileptischen oder evtl. doch einen harmloseren Ursprung hat. Allen wurde klar, dass eine Unterscheidung ohne gleichzeitiges EEG selbst dem Neurologen nicht immer möglich ist.

Nach dem Mittagessen konnte Frau Prof. Dr. M. Feucht, Pädiatrie AKH Wien ihren Vortrag pünktlich beginnen. Gerade auch für die neuen Eltern war dieser Vortrag sehr gut, weil er die Grundlagen des Dravet-Syndroms beinhaltete. Eine Mutation des Genoms führt zu einer Fehlfunktion des Natriumionen-Kanals. Bislang gibt es verhältnismäßig wenige Korrelationen zwischen der Genmutation, dem Verlauf der Krankheit und der kognitiven Beeinträchtigung der Patienten. Festzustellen ist jedoch, dass eine Deletion im Genom meist zu einem insgesamt schwereren Verlauf führt und die Anzahl der Staten die kognitive Entwicklung beeinflusst. Viele Betroffene haben Gangstörungen und zeigen psychische Auffälligkeiten wie z.B. einen sehr ausgeprägten Bewegungsdrang, zwanghafte Verhaltensmuster, autistische Züge und psychotische Episoden. Alle Patienten sind in gewisser Weise kognitiv beeinträchtigt, etwa die Hälfte davon schwerwiegend. Zudem hat die Erkrankung Auswirkungen auf die Herzfunktion, was in einigen Fällen auch die Ursache des SUDEP (= plötzlicher unerwarteter Tod von Epilepsiepatienten) sei. Da die Behandlung mit Antiepileptika viele unerwünschte Wirkungen zeigt, aber meistenteils trotz der Verwendung von geeigneten 2er- und 3er-Medikamentenkombinationen nicht zur Anfallsfreiheit führt (= therapierefraktär), treten nichtmedikamentöse Therapien immer mehr in den Vordergrund. Hier ist zum einen die ketogene Diät hervorzuheben, die auch neuroprotektiv wirkt.

Die Vagus-Nerv-Stimulation ist eine weitere Therapieform. Das VNS-Implantat wird von fast allen Patienten gut angenommen. Das relativ kleine, herzschrittmacherähnliche Implantat stimuliert den Vagusnerv, der wiederum Signale an das Gehirn sendet. Bemerkenswert ist, dass der Prozentsatz der Patienten mit einer Anfallsreduktion ³ 50% im Laufe der Zeit noch steigt. Diese Ergebnisse sind dauerhaft. Auch die Magnetstimulation, die beim VNS eine höhere Leistung hervorruft, konnte als Notfallintervention im Krampfanfall häufig den Anfall beenden oder die Schwere des Anfalls mindern. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Heiserkeit, veränderte Stimme, Husten, Schluckbeschwerden und Nackenschmerzen. Diese Symptome bessern sich häufig mit der Zeit. In den wenigsten Fällen führte eine Nebenwirkung des VNS zum Ausbau des Gerätes. Unabhängig von der Anfallskontrolle verbessert der VNS in vielen Fällen die Lebensqualität in Bezug auf Wachsamkeit, kürzere Erholungsphasen nach einem Anfall, verbale Fähigkeiten, Kognition und Gemütszustand. Der VNS wird individuell eingestellt, um ein optimales Ergebnis zu erzielen.

Die Vorträge wurden von interessierten Fragen und Beiträgen der Teilnehmer begleitet, die von allen Referenten immer wieder gern und ausführlich beantwortet wurden.

Nach einer Pause fand die Mitgliederversammlung des Vereins Dravet-Syndrom e.V. statt. Es wurde u.a. von bisherigen und zukünftigen Aktivitäten und dem Kassenstand berichtet.

Nach dem Ende der Versammlung trafen sich Teilnehmer und Referenten zu einem gemeinsamen  Abendessen bei einem Italiener. Es gab angeregte Gespräche und fachliche Diskussionen, die für alle eine Bereicherung darstellten.

Der Sonntagvormittag begann mit einem Gruppenfoto, in dessen Anschluss sich alle Teilnehmer auf drei Gesprächskreise aufteilten. Der erste Gesprächskreis richtete sich insbesondere an Eltern, die die Diagnose erst kürzlich erhalten hatten. Wichtige Fragen waren „Was gilt es zu beachten?“ und „Welche Hilfen kann man wo bekommen?“. In der zweiten Gruppe wurden die Möglichkeiten begleitender Therapien besprochen. Eine Ergotherapeutin und eine Logopädin konnten hierzu wertvolle Beiträge leisten und Einblicke in ihre Arbeit geben. Auch andere Therapien wie Physiotherapie und Hippotherapie wurden angesprochen.

In der dritten Gruppe ging es darum, wie der Alltag mit Dravet gemeistert werden kann.

Die Diskussionen waren sehr angeregt und alle Teilnehmer nahmen wertvolle Erkenntnisse und Anregungen mit nach Hause.

Dies gilt wohl für die gesamte Veranstaltung. So ist zwar bedauerlich, dass die Konferenz in dieser Art nur noch alle zwei Jahre stattfinden kann. Doch ist es wegen des hohen Aufwandes und dem Anspruch, allen Beteiligten ein attraktives Programm anbieten zu wollen, eine sinnvolle Entscheidung. Die Möglichkeit eines Wiedersehens besteht bei den Regionaltreffen und bei der jährlichen Mitgliederversammlung jedoch weiterhin.

Wie wichtig ein solches Wiedersehen ist, hat die Konferenz gezeigt. Es geht nicht allein um Informationen, Ratschläge und Wissen. Das Zusammentreffen mit anderen betroffenen Eltern zeigt, dass man mit seinen Problemen und Sorgen nicht allein ist. Das gibt Kraft für den tagtäglichen Kampf mit der Krankheit der Kinder.

Ganz herzlich möchten alle Teilnehmer den Organisatorinnen, im Speziellen Frau Nicole Lamla, die die Organisation vor Ort übernahm, danken. Weiterer großer Dank gilt dem Engagement der Referenten, die uns ihre Zeit und ihr Wissen unentgeltlich zur Verfügung stellten. Auch ein herzliches Dankeschön an die Therapeutinnen Frau B. Gräf-Ebert (Ergotherapie) und Frau K. Geidel (Logopädie), die uns für den Gesprächskreis „Therapien“ am Sonntagmorgen ebenfalls in ihrer Freizeit zur Verfügung standen. Ein weiterer ganz besonderer Dank des Vereins Dravet Syndrom e.V. gilt den Unternehmen Desitin Arzneimittel GmbH, Dr. Schär AG, Cyberonics Inc. und Cerbomed GmbH für die großzügige finanzielle Unterstützung.

Autor: Hinrich Wiese