Das SCN1A-UP Projekt, eine Zusammenarbeit mehrerer europäischer Partner im Rahmen des Europäischen Gemeinschaftsprogramms für Seltene Erkrankungen, hat bedeutende Fortschritte in der Gentherapie des Dravet-Syndroms erzielt. Das Projekt konzentriert sich auf die Entwicklung von Strategien zur Hochregulierung des SCN1A-Gens, das beim Dravet-Syndrom eine zentrale Rolle spielt.
Das Dravet-Syndrom ist eine seltene genetische Erkrankung, die schwerwiegende epileptische Anfälle verursacht und oft in der Kindheit beginnt. Die Krankheit wird durch Mutationen im SCN1A-Gen ausgelöst, das für die Produktion des NaV1.1‑Natriumkanals verantwortlich ist – ein wichtiges Protein, das die Aktivität von Nervenzellen im Gehirn reguliert. Durch die Mutation kommt es zu einer Fehlfunktion dieses Proteins, was zu den typischen Anfällen sowie zu lebenslangen kognitiven Beeinträchtigungen führt.
„Unser Ansatz zielt darauf ab, die Expression des verbleibenden SCN1A-Gens zu steigern, um das physiologische Niveau des Proteins wiederherzustellen und möglicherweise die Krankheitssymptome zu lindern“, erklärt Massimo Mantegazza, der wissenschaftliche Koordinator des Projekts.
Zwei innovative Ansätze zur Genaktivierung
Das Team unter der Leitung von Gaia Colasante hat zwei Hauptstrategien entwickelt, um die SCN1A-Genfunktion zu verbessern. Beide Ansätze wurden erfolgreich in in vitro Modellen des Dravet-Syndroms getestet.
CRISPR-Cas9-Aktivator-Tool: Diese modifizierte Version von CRISPR-Cas9 zielt darauf ab, das Gen nicht zu schneiden, sondern seine Aktivität zu steigern („CRISPR-ON“). Dies führte in Zellkulturen zu einer signifikanten Erhöhung der Genexpression auf mRNA- und Proteinebene.
Zinkfinger-Proteine: Diese kleineren Werkzeuge binden gezielt an das SCN1A-Gen und steigern dessen Aktivität. Aufgrund ihrer geringeren Größe konnten sie effizienter in virale Vektoren verpackt und zur Genaktivierung genutzt werden.
Erste Erfolge in vivo
Ein wesentlicher Fortschritt gelang, als das Team die Werkzeuge erfolgreich in lebenden Organismen anwenden konnte. In einem innovativen Experiment setzten sie perinatalen Mäusewelpen virale Vektoren ein, um die SCN1A-Genexpression im Gehirn zu erhöhen. „Wir konnten nicht nur die Expression von SCN1A in vivo steigern, sondern auch funktionelle Verbesserungen bei den betroffenen Mäusen feststellen“, erklärt Gaia Colasante.
Diese Verbesserungen umfassten die Aktivierung von Parvalbumin-Interneuronen, die eine Schlüsselrolle in der Regulation der Gehirnaktivität spielen und besonders stark vom Dravet-Syndrom betroffen sind. Zudem gelang es dem Team, die Häufigkeit von Fieberkrämpfen zu reduzieren – ein typisches Merkmal bei Dravet-Patienten.
Behandlung der sekundären Folgen der Genmutation
Zusätzlich zur Hochregulierung des SCN1A-Gens untersuchten die Forscher auch die sekundären Anpassungen, die durch die Mutation im Gehirn ausgelöst werden. Das Gehirn versucht, auf die Mutation zu reagieren, indem es bestimmte neuronale Prozesse anpasst. Diese Veränderungen können entweder negativ (pro-pathologisch) oder positiv (homeostatisch) sein.
Negative Anpassungen verschlimmern die Symptome der Krankheit. Hier zielt die Forschung darauf ab, diese Anpassungen zu verringern.
Positive Anpassungen hingegen können das Gehirn dabei unterstützen, die Krankheit besser zu kompensieren. Diese versucht das SCN1A-UP Projekt gezielt zu verstärken.
Das Forscherteam führte dazu Genanalysen durch, um andere betroffene Gene zu identifizieren und zu sehen, wie deren Funktion wiederhergestellt werden kann. Dabei kamen unter anderem Maus- und Zebrafisch-Modelle zum Einsatz. Einige bereits bestehende Medikamente wurden getestet, um ihre Eignung zur Behandlung dieser Anpassungen zu prüfen.
Blick in die Zukunft: Langzeitwirkungen und klinische Studien
Für die Zukunft plant das SCN1A-UP Projekt, die Gentherapien auch an erwachsenen Mäusen zu testen, um die Langzeitwirkungen und die Anwendbarkeit auf bereits symptomatische Tiere zu untersuchen. Dies ist ein entscheidender Schritt, da es die Frage klären soll, ob diese neuen Behandlungsansätze nicht nur präventiv, sondern auch therapeutisch wirksam sein können.
Das Projekt könnte den Weg für klinische Studien ebnen und damit neue Hoffnung für Patienten mit Dravet-Syndrom bieten. Die Kombination von Gentherapie und der gezielten Behandlung sekundärer Genveränderungen eröffnet potenziell neue Behandlungsoptionen, die über das Dravet-Syndrom hinaus auch für andere neurologische Erkrankungen von Bedeutung sein könnten.
Das SCN1A-UP Projekt: Ein Schritt in Richtung besserer Behandlungsmöglichkeiten
Das SCN1A-UP Projekt zeigt eindrucksvoll, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit und moderne Gentherapietechniken dazu beitragen können, schwere genetische Erkrankungen wie das Dravet-Syndrom zu bekämpfen. Durch die Entwicklung einer wissenschaftlichen Pipeline und die Identifizierung vielversprechender Therapieansätze wird deutlich, wie Grundlagenforschung die Basis für neue, effektive Behandlungen legen kann.
Der nächste Schritt für das Forschungsteam ist die Überführung der vielversprechenden Ergebnisse in klinische Studien. Sollte dies gelingen, könnte das SCN1A-UP Projekt langfristig das Leben von Dravet-Patienten erheblich verbessern und neue Hoffnung für betroffene Familien bieten.