Triggerwarnung: Dieses Interview enthält detaillierte Schilderungen und Beschreibungen von SUDEP (plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie) und den damit verbundenen Erfahrungen und Emotionen. Diese Inhalte können emotional sehr belastend und verstörend sein, gerade, wenn man selbst oder eine dir nahestehende Person an Epilepsie erkrankt ist. Wenn Du das Gefühl haben, dass die Inhalte Dich zu sehr belasten könnten, ziehe bitte in Betracht, das Interview nicht zu lesen oder lass Dich während des Lesens von einer Vertrauensperson begleiten.
Sternenkind Noah ist am 22. Mai 2017 an SUDEP verstorben. Er wurde vier Jahre alt. Seine Mama Saskia teilt seine Geschichte.
Kannst Du uns erzählen, wie es Noah gesundheitlich in der Zeit vor dem SUDEP ging?
Es war Noahs beste Zeit. Für seine Verhältnisse hatte er wenige Grand Mal Anfälle. Es gab sogar große Abstände, teilweise lagen vier bis acht Wochen zwischen den Anfällen. Auch vor seinem SUDEP hatte er wochenlang keinen größeren Anfall. Noah ging es zu dieser Zeit also eigentlich den Umständen entsprechend gut.
Kannst Du uns von dem Tag erzählen, als Noah starb?
An diesem Morgen schlug der Monitor das erste Mal an. Ich bin sofort zu ihm, aber da war dann alles wieder okay. Seine Werte waren wieder normal, er hat geschlafen, war kurz wach und ansprechbar. Ich wollte ihn weiterschlafen lassen. Zehn Minuten später gab es wieder Alarm. Ich bin wieder sofort zu ihm. Alle Werte auf dem Monitor zeigten plötzlich auf 0. Nichts mehr da! Noah lag auf dem Bauch, er hat immer auf dem Bauch geschlafen, mit angezogenen Beinen.
Das klingt sehr beängstigend. Was ist dann passiert?
Ich habe ihn umgedreht, seine Augen starrten mich an und durch diese Drehung reagierte seine Lunge nochmal, es sah aus , als würde er den letzten Atemzug nehmen. Sofort habe ich den Rettungsdienst verständigt und angefangen, ihn zu reanimieren. Nach circa fünf Minuten kam der Rettungswagen an und hat die Reanimation fortgeführt. Seine Finger wurden da schon kalt. Er bekam noch Adrenalin und Serotonin gespritzt. Insgesamt haben die Hilfskräfte 50 Minuten versucht, Noah zu reanimieren. Aber er kam nicht zurück, unser Noah ist zu den Engeln geflogen.
Der Verlust von Noah ist nun sieben Jahre her. Wie geht es euer Familie?
Neben Noah haben wir noch zwei weitere, gesunde Geschwisterkinder, die vier und sechs Jahre alt sind. Der kleine Samuel (4) versteht es noch nicht ganz, aber Salia (6) weiß von ihrem großen Bruder und versteht, dass er an seiner schweren Epilepsie gestorben ist. Sie hat schon öfter das Geschwisterbuch „Unser Ben hat Anfälle“ über Epilepsie gelesen. Daher weiß sie, was Anfälle sind. Sie versteht, dass er aufgrund seiner schweren Krankheit zum Engel wurde. Schwierig für sie zu verstehen ist allerdings, warum es ihrem Papa durch Noahs Tod so schlecht geht.
Wie seid ihr als Eltern mit dem Verlust von Noah umgegangen?
Das war in der Tat sehr unterschiedlich. Sascha hat mehrere Therapien durch und viele Trauerbewältigungen. Trotzdem steckt er noch tief in der Trauer, als wäre es gestern gewesen. Er leidet an verschiedenen Traumata, die bereits durch die Anfälle von Noah ausgelöst wurden. Außerdem wurden bei ihm schwere Depressionen und das Broken Heart Syndrom diagnostiziert. Letzteres bedeutet, dass er durch seine Trauer an Herzproblemen leidet. Ich als Mama gehe damit anders um und bin glücklich, mit meinen beiden Folgewundern zu leben. Der Glaube an das Leben danach und die Ablenkung durch meine Kinder helfen mir, nach vorne zu schauen . Natürlich ist es in mir drin sehr schwer, aber das Glück noch zwei gesunde Kinder haben zu dürfen, übertrumpft meine Trauer.
Es ist toll zu hören, dass ihr beide offen mit euren doch so unterschiedlichen Trauererfahrungen umgeht. Saskia, was nimmst Du persönlich aus der Trauer um deinen Sohn Noah mit?
Ich selbst möchte nun bald gerne die ehrenamtliche Ausbildung zur Trauerbegleitung im Kinderhospiz machen. Mir ist es wichtig, etwas weiter beziehungsweise zurückzugeben. Das, was wir durch das Hospiz und die tollen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dort erleben durften in der schweren Zeit, hat mich so berührt und bewegt. Ich finde, wenn eine Mama einen unterstützt, die bereits ähnliches durchlebt hat und weiß, wie man sich nach dem Verlust eines Kindes fühlt, gibt einem das als betroffene Familie ganz viel Halt.
Gibt es etwas, was Du anderen Dravet-Eltern mit Sternenkindern auf den Weg geben?
Gebt nicht auf. Habt keine Angst weitere Kinder zu bekommen, sie werden zu euch geschickt, um euer Leben zu bereichern. Bei uns war es das Beste, was hätte passieren können.
Das klingt sehr ermutigend. Wie können Familien aus deiner Sicht am besten mit der Belastung umgehen?
Versucht, euch viel Zeit für euch selbst zu nehmen, macht gemeinsame Dinge. Geht im Wald spazieren, die Geräusche und die Ruhe dort helfen euch vielleicht, abzuschalten und zu beruhigen, zumindest für einen kleinen Moment. Wir sind anfangs stundenlang im Wald spazieren gegangen – einfach laufen, laufen, laufen – um den Kopf frei zu bekommen. Bleibt nicht alleine , lasst eure Liebsten immer bei euch sein . Damit ihr sie jederzeit für euch und eure Trauer abrufen könnt. All diese Tipps bleiben nur Tipps. Jeder muss und kann für sich selbst entscheiden , was ihm in dieser Zeit gut tut und was nicht. Es gibt kein richtig und kein falsch, egal was ihr macht, ist okay .
Habt ihr euch nach Noahs Tod auch professionelle Hilfe geholt?
Wir haben eine Trauerbewältigung gemacht, die wir jedem nur ans Herz legen können, der in einer ähnlichen Situation steckt. Lasst eure Gefühle raus, es ist menschlich. Versteckt eure Gefühle und Trauer nicht, denn sie holen euch ansonsten irgendwann ein. Unsere Trauerbegleiterin sagte immer: Die Trauer ist wie „neuer Wein“ , der, wenn man die Trauer nicht zulässt, als Flasche verschlossen in den Keller gestellt wird. Irgendwann gärt der Wein und die Flasche wird platzen . So ist es mit der Trauer – man kann sie nicht verdrängen.
Das ist sehr anschaulich. Gibt es noch andere Ratschläge, die Du in Bezug auf die Trauerphase teilen möchtest?
Auch wenn es komisch klingt: Trinkt genug. Ihr müsst nicht viel essen – aber trinkt. Durch die Trauer vergessen wir das oft. Das ist Sascha passiert. Auch wenn wir es erst nicht glauben konnten, aber er hatte Nierenversagen, da er in seiner Trauer nicht getrunken hat.
Danke für Deine und Eure Offenheit und Mut, über Euren schweren Verlust zu sprechen und anderen Familien Mut zu schenken, die Ähnliches durchleben.
Wir danken dem Dravet-Syndrom e.V. Es ist so schön, das wir durch Noah nun schon seit neun Jahren zum Verein gehören und es weiterhin für ihn und alle anderen Dravetchen bleiben dürfen. Es ist eine Herzensangelegenheit, die zu uns gehört.