Domi­nik aus Erlan­gen hat­te sei­nen ers­ten Anfall mit vier Mona­ten. Mit neun Mona­ten erhält er die Dia­gno­se Dra­vet-Syn­drom. Sei­ne Mama Kat­rin teilt sei­ne Geschich­te.

Könnt Ihr uns etwas über Domi­niks­ers­ten Anfall erzäh­len? Wie habt Ihr ihn bemerkt und wie dar­auf reagiert?

Domi­niks ers­ter Anfall trat mit vier Mona­ten nach sei­ner zwei­ten Imp­fung auf. Es war ein wun­der­schö­ner Som­mer­tag im August. Wir lagen im Gar­ten. Domi­nik schau­te fas­zi­niert in die Bäu­me, als er plötz­lich begann, die Augen selt­sam zu ver­dre­hen. Sei­ne klei­nen Arme und Bei­ne zuck­ten rhyth­misch. Ich nahm ihn sofort auf den Arm, rann­te ins Haus und rief nach mei­nem Mann. Er hielt Domi­nik, ver­mu­te­te einen Fie­ber­krampf, und wir alar­mier­ten den Not­arzt. Domi­nik atme­te unge­wöhn­lich, und ich hat­te schreck­li­che Angst, dass er auf mei­nem Arm ster­ben könn­te. Der Anfall dau­er­te etwa 10 Minu­ten und war vor­bei, als der Not­arzt ein­traf. Wir wur­den mit dem Kran­ken­wa­gen in die Kin­der­kli­nik gebracht – es war unser ers­ter Kli­nik­auf­ent­halt.

Wie ging es dann wei­ter?

Nach dem ers­ten Anfall im August beka­men wir ein Not­fall­me­di­ka­ment und einen Ter­min für ein EEG. Das EEG war unauf­fäl­lig, und wir hoff­ten, es wür­de ein ein­ma­li­ger Vor­fall blei­ben. Doch Mit­te Sep­tem­ber bemerk­te ich klei­ne, sekun­den­bruch­teil­schnel­le Zuckun­gen bei Domi­nik, wie klei­ne Strom­stö­ße. Anfangs fiel es nur mir auf, doch bald sah auch mein Mann sie.

Wur­de dar­auf­hin bei Domi­nik das Dra­vet-Syn­drom dia­gnos­ti­ziert?

Auf­grund der Zuckun­gen ver­ein­bar­ten wir einen wei­te­ren Ter­min in der Kin­der­kli­nik.  Das erneu­te EEG war eben­falls unauf­fäl­lig. Der Arzt mein­te, sol­che Zuckun­gen kämen bei Babys vor und sei­en harm­los. Aber die Zuckun­gen nah­men zu und hin­der­ten Domi­nik an nor­ma­len Bewe­gun­gen. Bei einem wei­te­ren Ter­min erkann­te eine Ärz­tin die Zuckun­gen und ließ uns sofort sta­tio­när auf­neh­men. Es folg­ten zahl­rei­che Unter­su­chun­gen und Lang­zeit-EEGs. Wir soll­ten mit Anti­epi­lep­ti­ka begin­nen. Das fiel mir sehr schwer, da Domi­nik bis dahin nur Mut­ter­milch bekom­men hat­te. Kurz dar­auf bekam unse­re älte­re Toch­ter Fie­ber, und Domi­nik steck­te sich an. Die­ser Anfall war halb­sei­tig und hör­te nicht von selbst auf, wir fuh­ren kramp­fend ins Kli­ni­kum. Im Dezem­ber, als Domi­nik knapp neun Mona­te alt war, erhiel­ten wir dann die Dia­gno­se Dra­vet-Syn­drom – ein schwe­rer Schlag für uns.

Hat Euch die Dia­gno­se über­rascht?

Irgend­wie ahn­te ich schon, dass es das Dra­vet-Syn­drom sein könn­te. Denn mit Goog­le liest man bereits vor­ab viel. Ich hat­te es daher schon im Ver­dacht. Mein Mann mein­te noch, das Syn­drom sei so sel­ten, das wür­de Domi­nik schon nicht haben. Als die Ärz­tin dann mit der Dia­gno­se kam, brach für uns eine Welt zusam­men. Es schwarz auf weiß zu lesen, war so unwirk­lich. Ich konn­te nicht mehr auf­hö­ren zu wei­nen und war wie betäubt.

Wie habt ihr die Zeit nach der Dia­gno­se­stel­lung erlebt?

Unse­re Ärz­tin ver­such­te, uns Mut zu machen. Sie erklär­te, dass die Medi­zin inzwi­schen gro­ße Fort­schrit­te gemacht hat und dass mit der frü­hen Dia­gno­se und den rich­ti­gen Medi­ka­men­ten vie­les posi­tiv ver­lau­fen könn­te. Doch schon bald zeig­te sich bei Domi­nik eine Ent­wick­lungs­ver­zö­ge­rung, und unser Leben dreh­te sich fast aus­schließ­lich um Kli­nik­auf­ent­hal­te.

Wie habt ihr es geschafft, die­se schwie­ri­gen Momen­te als Fami­lie durch­zu­ste­hen?

Es gab Momen­te, in denen wir vor der Inten­siv­sta­ti­on saßen und nicht wuss­ten, ob Domi­nik es schaf­fen wür­de. Wir muss­ten erle­ben, wie unser Kind intu­biert wur­de, wie ihm ein Zugang in den Kno­chen gelegt wur­de und vie­les mehr. In die­ser Zeit funk­tio­nier­ten wir ein­fach irgend­wie – wir hat­ten schließ­lich auch noch unse­re drei­jäh­ri­ge Toch­ter. Für sie bin ich unend­lich dank­bar, denn sie hat uns gezwun­gen, den All­tag zumin­dest teil­wei­se nor­mal wei­ter­zu­füh­ren. Zudem hat­ten wir viel Unter­stüt­zung von Freun­den und Fami­lie, die uns hal­fen, die Tage nach und nach zu über­ste­hen.

Als Domi­nik etwa zwei­ein­halb Jah­re alt war, wur­den die Kli­nik­auf­ent­hal­te sel­te­ner, und in die­ser Pha­se wur­de ich erneut schwan­ger.

Wie äußert sich das Dra­vet-Syn­drom bei Domi­nik?

Domi­nik ist sowohl geis­tig als auch kör­per­lich stark beein­träch­tigt. Er spricht nicht, nutzt einen Roll­stuhl und befin­det sich im Autis­mus­spek­trum. Sei­ne Inter­es­sen sind sehr spe­zi­ell – zum Bei­spiel liebt er es, mit dem Auf­zug zu fah­ren.

Wel­che Her­aus­for­de­run­gen stel­len sich im All­tag mit einem Kind mit Dra­vet-Syn­drom?

Zu Beginn war ich stän­dig ange­spannt und besorgt, dass Domi­nik einen Anfall bekom­men könn­te. Jede Aus­flugs­pla­nung war eine Her­aus­for­de­rung: Wir muss­ten genau über­le­gen, wohin wir fah­ren konn­ten und ob in der Nähe eine Kli­nik erreich­bar wäre. Selbst ein­fa­che Din­ge wie ein Spa­zier­gang im Wald waren für uns unmög­lich, da dort im Not­fall kein Ret­tungs­wa­gen hin­kom­men könn­te. Je älter und grö­ßer Domi­nik wird, des­to her­aus­for­dern­der wird der All­tag. Auch wenn die Anfäl­le mitt­ler­wei­le zum Glück sel­te­ner gewor­den sind, ist es vor allem Domi­niks Ver­hal­ten und sei­ne beson­de­ren Inter­es­sen, die unser Leben jeden Tag stark prä­gen. Es fühlt sich oft an, als wür­den wir stän­dig kämp­fen.

Wie sieht es aus, wenn Ihr dem All­tag ent­flie­hen wollt und Urlaub plant?

Auch Urlaubs­rei­sen erfor­dern inten­si­ve Pla­nung und Recher­che. Domi­nik mag unbe­kann­te Umge­bun­gen nicht. Letz­tes Jahr waren wir bei­spiels­wei­se in einem Bun­ga­low im All­gäu. Doch Domi­nik woll­te stän­dig nur zur Tür und zum Auto zurück und hat dabei laut geschrien. Gleich­zei­tig wünsch­ten sich unse­re ande­ren bei­den Kin­der, die Gegend zu erkun­den und den Urlaub zu genie­ßen. Wir stan­den per­ma­nent im Span­nungs­feld zwi­schen Domi­niks Bedürf­nis­sen und den Wün­schen der Geschwis­ter.

Das klingt sehr anstren­gend. Wie geht Ihr als Eltern mit den emo­tio­na­len Belas­tun­gen um, die mit der Betreu­ung eines Kin­des mit einer schwe­ren neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kung ein­her­ge­hen?

Wir sind unend­lich dank­bar für unse­re drei Kin­der. Domi­nik hat uns eine völ­lig neue Per­spek­ti­ve auf das Leben gege­ben. Durch ihn ler­nen wir, die klei­nen Din­ge viel mehr zu schät­zen – Din­ge, die für vie­le selbst­ver­ständ­lich sind, aber für uns etwas Beson­de­res bedeu­ten.

Gibt es etwas in Bezug auf Domi­niks Erkran­kung, was bei Euch nega­ti­ve Gefüh­le oder auch Ängs­te aus­löst?

Ich ertap­pe mich manch­mal dabei, wie ich Fami­li­en mit gesun­den Kin­dern anschaue und auf ihre Unbe­schwert­heit nei­disch bin. Die Zukunft berei­tet mir oft Angst, weil sie so unge­wiss ist. Eine der größ­ten Sor­gen ist die Mög­lich­keit, Domi­nik zu ver­lie­ren – SUDEP ist dabei ein stän­di­ges The­ma. Gleich­zei­tig habe ich Angst davor, irgend­wann nicht mehr genug Kraft zu haben oder nie wie­der ein „frei­es“ Leben füh­ren zu kön­nen. Gedan­ken wie „Wenn die Kin­der ein­mal aus dem Haus sind“ exis­tie­ren bei uns nicht.

Was gibt Euch in die­sen Momen­ten die Kraft, wei­ter­zu­ma­chen?

Wir ver­su­chen, uns auf den Moment zu kon­zen­trie­ren. Gera­de ist alles gut, und was mor­gen kommt, wis­sen wir nicht. Mein Mann schafft es, die­se Hal­tung viel bes­ser umzu­set­zen als ich.

Wel­che Art von Unter­stüt­zung und Behand­lung erhält Domi­nik für sein Dra­vet-Syn­drom?

Domi­nik besucht eine heil­päd­ago­gi­sche Schu­le der Lebens­hil­fe, wo er eine 1:1‑Schulbegleitung und eine wun­der­ba­re Klas­sen­leh­re­rin hat. Wir sind unglaub­lich dank­bar, dass das der­zeit so gut funk­tio­niert. In der Schu­le erhält Domi­nik Ergo­the­ra­pie, Phy­sio­the­ra­pie und Logo­pä­die, die ihm nicht nur viel Freu­de berei­ten, son­dern auch von groß­ar­ti­gen The­ra­peu­ten beglei­tet wer­den. Zusätz­lich kann er an drei Nach­mit­ta­gen pro Woche die Tages­stät­te besu­chen. Lei­der gibt es dort, wie an so vie­len wich­ti­gen Stel­len, immer wie­der Eng­päs­se beim Per­so­nal. Den­noch läuft es momen­tan dank sei­ner tol­len Nach­mit­tags­be­glei­tung wirk­lich gut. Wir schät­zen die Unter­stüt­zung, die Domi­nik in die­sem Umfeld erfährt, sehr.

Wie geht es Domi­nik jetzt?

Domi­nik geht es gut. Er lacht viel. Wir ver­su­chen viel Auf­zug zu fah­ren oder gehen mit ihm ins Schwimm­bad. Er besucht wahn­sin­nig ger­ne Oma und Opa. Ich glau­be kei­ner freut sich so schön wie er. Aber natür­lich hat er auch Tage, an denen er sich nicht freut, an denen wir ihm nichts recht machen kön­nen oder an denen es ihm nicht so gut geht und er es uns nicht mit­tei­len kann. Er wird dann oft wütend. Da heißt es auf­pas­sen, dass er einen nicht packt in sei­ner Wut. Die Anfäl­le haben sich zum Glück sehr redu­ziert. Aber sie kom­men noch, und wenn, dann auch aus dem Nichts, und wir kön­nen oft nicht aus­ma­chen, was den Anfall ver­ur­sacht hat.

Wel­che Hoff­nung und Träu­me habt Ihr für die Zukunft von Domi­nik?

Domi­nik wird nie ein selbst­stän­di­ges Leben füh­ren kön­nen. Das wich­tigs­te ist für uns, dass er glück­lich ist. Dass Men­schen ihn beglei­ten, die ihn lie­ben, wert­schät­zen und respek­tie­ren. Wir wün­schen uns Men­schen ohne Berüh­rungs­ängs­te. Wir wün­schen uns Inklu­si­on, geleb­te Inklu­si­on.

Wel­chen Rat möch­tet ihr Fami­li­en auf den Weg geben, die erst vor kur­zem die Dia­gno­se Dra­vet erhal­ten haben?

Der Anfang ist unglaub­lich schwer. Man hat das Gefühl, das Leben, wie man es kann­te, sei vor­bei – und ein Stück weit stimmt das auch. Das alte Leben gibt es so nicht mehr. Aber auf die­sem Weg gibt es auch vie­le wun­der­ba­re Begeg­nun­gen, wert­vol­le Lek­tio­nen und immer wie­der klei­ne Inseln, auf denen man neue Kraft schöp­fen kann. Es ist wich­tig, nicht zu weit in die Zukunft zu bli­cken, son­dern den All­tag Schritt für Schritt zu neh­men. „Lie­be kann alles schaf­fen“ – die­ser Satz beschreibt unse­re Rei­se per­fekt. Obwohl der Weg oft schwie­rig ist, gibt es so viel zu ent­de­cken, wofür man dank­bar sein kann.

Gibt es etwas, was Ihr unbe­dingt los­wer­den möch­tet?

Ein gro­ßes Dan­ke­schön an den Dra­vet-Ver­ein und unse­re Dra­vet-Grup­pe. Es ist so wert­voll zu wis­sen, dass man nicht allei­ne ist und dass es Men­schen gibt, die einen ver­ste­hen und unter­stüt­zen. Und zum Schluss: F*** DRA­VET!