In Fach­krei­sen und Eltern­fo­ren taucht in letz­ter Zeit immer wie­der der Name Cen­oba­mat auf. Das Medi­ka­ment gilt als eine der span­nends­ten Neu­ent­wick­lun­gen in der Epi­lep­sie­t­he­ra­pie der letz­ten Jah­re. Doch was steckt dahin­ter und spielt es auch beim Dra­vet-Syn­drom eine Rol­le?

Vie­le Fami­li­en mit Dra­vet-Kin­dern sind ver­ständ­li­cher­wei­se auf­merk­sam, wenn neue Medi­ka­men­te Hoff­nung auf eine bes­se­re Anfalls­kon­trol­le wecken. Gleich­zei­tig ist Vor­sicht gebo­ten, denn nicht jeder Wirk­stoff, der bei ande­ren Epi­lep­sie­for­men wirkt, ist für Dra­vet geeig­net. Das gilt auch für Cen­oba­mat.

Was ist Cen­oba­mat?

Cen­oba­mat (Han­dels­na­me Ontoz­ry®) ist ein moder­nes Anti-Anfalls-Medi­ka­ment. Es wur­de in der Euro­päi­schen Uni­on zur Zusatz­the­ra­pie bei Erwach­se­nen mit foka­len Anfäl­len zuge­las­sen, wenn ande­re Medi­ka­men­te nicht aus­rei­chend hel­fen. Für das Dra­vet-Syn­drom besteht kei­ne Zulas­sung.

Das Dra­vet-Syn­drom wird durch eine patho­ge­ne Vari­an­te im SCN1A-Gen ver­ur­sacht. Die­ses Gen kodiert den schnel­len Natri­um­ka­nal (Nav1.1), der für die Infor­ma­ti­ons­wei­ter­lei­tung sehr wich­tig ist. Wenn wie beim Dra­vet-Syn­drom nur die Hälf­te der schnel­len Natri­um­ka­nä­le zur Ver­fü­gung ste­hen, kommt es sozu­sa­gen zum “Daten­stau” und damit ent­steht die typi­sche Über­er­reg­bar­keit des Gehirns. Medi­ka­men­te, die die sowie­so nur zur Hälf­te vor­lie­gen­den Natri­um­ka­nä­le zusätz­lich blo­ckie­ren, kön­nen des­halb bei Dra­vet zu einer deut­li­chen Anfalls­zu­nah­me füh­ren  und genau hier setzt die kri­ti­sche Dis­kus­si­on über Cen­oba­mat an.

Wie wirkt Cen­oba­mat?

Cen­oba­mat hat einen soge­nann­ten Dual-Mecha­nis­mus. Es hemmt Natri­um­ka­nä­le, also die ‚Erre­ger­sei­te‘, und ver­stärkt gleich­zei­tig die hem­men­de Signal­über­tra­gung über GABA-A-Rezep­to­ren, was die ‚Brem­se‘ des Ner­ven­sys­tems stärkt. Der genaue Wirk­me­cha­nis­mus, mit dem Cen­oba­mat sei­ne the­ra­peu­ti­sche Wir­kung bei Pati­en­ten mit foka­len Anfäl­len aus­übt, ist bis­her lt. Fach­in­for­ma­ti­on noch unbe­kannt.

In der Theo­rie könn­te die­se Wirk­kom­bi­na­ti­on hel­fen, Anfäl­le zu redu­zie­ren, ohne die typi­schen Pro­ble­me klas­si­scher Natri­um­ka­nal­blo­cker zu ver­ur­sa­chen. Aller­dings ist bis­lang unklar, ob die­ses Gleich­ge­wicht bei Men­schen mit SCN1A-Muta­tio­nen tat­säch­lich so funk­tio­niert, wie erhofft. Gera­de weil beim Dra­vet-Syn­drom die Natri­um­ka­nal­ak­ti­vi­tät bereits redu­ziert ist, könn­te die zusätz­li­che Blo­cka­de kon­tra­pro­duk­tiv wir­ken.

Aktu­el­le Stu­di­en­la­ge und kli­ni­sche Erfah­run­gen

In den letz­ten Jah­ren sind ers­te Fall­be­rich­te und klei­ne Stu­di­en erschie­nen, die den Ein­satz von Cen­oba­mat bei Dra­vet-Syn­drom unter­sucht haben. Die Ergeb­nis­se sind unein­heit­lich.

Posi­tiv fiel eine klei­ne Fall­se­rie mit vier erwach­se­nen Dra­vet-Pati­en­tIn­nen auf, die unter Cen­oba­mat eine deut­li­che Anfalls­re­duk­ti­on von über 80 % erreich­ten. Auch ein 2025 ver­öf­fent­lich­ter Fall­be­richt über ein neun­jäh­ri­ges Mäd­chen zeig­te eine deut­li­che Bes­se­rung: Die Zahl der tonisch-klo­ni­schen Anfäl­le sank von acht pro Monat auf etwa einen.

Dem gegen­über ste­hen jedoch meh­re­re Berich­te über Ver­schlech­te­run­gen. Eine retro­spek­ti­ve Stu­die aus 2025 unter­such­te sechs Kin­der mit Dra­vet-Syn­drom (alle mit SCN1A-Muta­ti­on). Kein ein­zi­ges Kind pro­fi­tier­te, bei drei­en kam es sogar zu häu­fi­ge­ren und schwe­re­ren Anfäl­len sowie zu Sta­tus-Epi­so­den. In allen Fäl­len muss­te das Medi­ka­ment wie­der abge­setzt wer­den.

Beson­ders bedeut­sam ist in die­sem Zusam­men­hang die kürz­lich erschie­ne­ne deut­sche Fall­se­rie von Kur­le­mann et al. (2025) in der Zeit­schrift für Epi­lep­to­lo­gie, die zwei Kin­der mit Dra­vet-Syn­drom beschreibt, bei denen es unter Cen­oba­mat zu einer deut­li­chen Anfalls­zu­nah­me kam. Die AutorIn­nen zie­hen ein kla­res Fazit: Cen­oba­mat soll­te bei Dra­vet-Syn­drom auf­grund sei­nes Wirk­me­cha­nis­mus mit gro­ßer Vor­sicht ein­ge­setzt wer­den. Die bis­he­ri­gen Beob­ach­tun­gen zei­gen, dass ins­be­son­de­re bei Kin­dern mit SCN1A-Muta­ti­on eine Ver­schlech­te­rung mög­lich ist.

War­um Zurück­hal­tung wich­tig ist

Auch wenn Cen­oba­mat in ande­ren Epi­lep­sie­for­men viel­ver­spre­chend wirkt, ist die Situa­ti­on beim Dra­vet-Syn­drom beson­ders kom­plex. Der gene­ti­sche Hin­ter­grund, die gestör­te Funk­ti­on von Nav1.1‑Kanälen, macht vie­le Natri­um­ka­nal-gerich­te­te Medi­ka­men­te ris­kant. Cen­oba­mat greift eben­falls in die­sem Mecha­nis­mus ein, wenn auch auf beson­de­re Wei­se.

Da die Daten­la­ge beim Dra­vet-Syn­drom noch sehr begrenzt ist, soll­te ein Ein­satz aus­schließ­lich in spe­zia­li­sier­ten Epi­lep­sie­zen­tren erfol­gen und nur, wenn ande­re eta­blier­te The­ra­pien (wie z.B. Stiri­pen­tol, Fen­flu­ra­min, Can­na­bi­di­ol) kei­ne aus­rei­chen­de Wir­kung zei­gen. Eine eng­ma­schi­ge ärzt­li­che Über­wa­chung ist dabei unver­zicht­bar.

Was Fami­li­en wis­sen soll­ten

Für Fami­li­en mit Dra­vet-Kin­dern bedeu­tet das: Cen­oba­mat ist der­zeit kein Stan­dard­me­di­ka­ment beim Dra­vet-Syn­drom.

Wenn die behan­deln­de Ärz­tin oder der behan­deln­de Arzt Cen­oba­mat anspricht, lohnt sich ein offe­nes, kri­ti­sches Gespräch über die aktu­el­le Stu­di­en­la­ge, die bekann­ten Risi­ken und die indi­vi­du­el­len Zie­le der Behand­lung. Für man­che erwach­se­ne Pati­en­tIn­nen mit hoch­the­ra­pie­re­sis­ten­ter Epi­lep­sie kann ein indi­vi­du­ell über­wach­ter The­ra­pie­ver­such ver­tret­bar sein, bei Kin­dern dage­gen über­wie­gen die Risi­ken.

Fazit

Cen­oba­mat ist ein inno­va­ti­ves Medi­ka­ment, das in der Epi­lep­sie­be­hand­lung neue Mög­lich­kei­ten eröff­net. Für das Dra­vet-Syn­drom ist die Daten­la­ge jedoch noch unzu­rei­chend. Wäh­rend ein­zel­ne erwach­se­ne Pati­en­tIn­nen gute Erfah­run­gen gemacht haben, zei­gen die bis­he­ri­gen Stu­di­en bei Kin­dern über­wie­gend kei­ne Wir­kung oder sogar eine deut­li­che Ver­schlech­te­rung der Anfäl­le.

Der aktu­el­le Arti­kel von Kur­le­mann et al. (2025) ver­deut­licht, dass Cen­oba­mat nicht ohne Risi­ko ein­ge­setzt wer­den soll­te und in den meis­ten Fäl­len kei­ne Bes­se­rung bringt.

Trans­pa­renz­hin­weis: Die­ser Arti­kel dient der neu­tra­len Infor­ma­ti­on und ersetzt kei­ne indi­vi­du­el­le ärzt­li­che Bera­tung. The­ra­pie­ent­schei­dun­gen soll­ten immer gemein­sam mit dem Behand­lungs­team getrof­fen wer­den.

Lite­ra­tur

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  • Cagi­gal, C., Laux, L. C., Cross, J. H., & Kolleg:innen. (2025). Cen­oba­mate in child­ren with Dra­vet syn­dro­me: A retro­s­pec­ti­ve case series. Epi­lep­sia, 66(2), 277–285.
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